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Erzählperspektive

Erzählperspektive

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Durch die Art des Schreibens kann die Autorin bereits indirekt Einfluss auf die spätere Bildgestaltung und visuelle Narration nehmen. Dabei kann sie die Vorstellung der Leserin ähnlich lenken wie die Kamera den Blick der Zuschauerin im fertigen Film.

    Figurengebundenes Erzählen

    Das figurengebundene Erzählen stellt eine formale Beschränkung dar: Der Zuschauer ist quasi mit einer Figur verhaftet, indem deren Wissensstand dem des Zuschauers entspricht.
    Diese monoperspektivistische Erzählperspektive eignet sich dazu, Identifikation oder Immersion mit einer Figur zu erzeugen. Die Möglichkeiten und Mittel des Films, eine Geschichte multiperspektivisch zu erzählen, werden dagegen bewusst nicht ausgeschöpft. So ist figurengebundenes Erzählen beispielsweise nicht mit Suspense oder Surprise vereinbar. Stattdessen erfahren Zuschauer und Figur jede neue Information gleichzeitig, als sogenannten Mitaffekt.

      Off-Erzähler

      Der Off-Erzähler versorgt den Zuschauer mit Hintergrundwissen und versetzt ihn mittels seines Voice Overs in sein Gehirn. Der Off-Kommentar kann entweder während der gesamten Geschichte durchgehend eingesetzt werden oder nur partiell. Oftmals bildet ein Erzähler den Rahmen bzw. die Klammer einer Geschichte: Er führt in die Geschichte ein, setzt dann aus und tritt erst am Ende wieder in Erscheinung, um seine Konklusion mitzuteilen. In Literaturverfilmungen bildet ein Voice-Over oftmals ein Relikt der Buchvorlage, das dem Film eine eigene sprachliche, poetische oder humorvolle Qualität verleiht.

      Spricht der Erzähler nur in der dritten Person, so tritt er selbst nicht als Figur in Erscheinung, sondern befindet sich außerhalb des Figurenensembles. Dies kann bedeuten, dass seine Erzählperspektive auktorial bzw. allwissend ist.
      Wenn er dagegen als Haupt-, Neben- oder Randfigur an der Geschichte beteiligt ist, ist seine Erzählperspektive beschränkt und seine Erzählung subjektiv gefärbt. Sie beinhaltet die eigene Person und damit automatisch Fehleinschätzungen, Aversionen, Sarkasmus, Verklärungen, Vorbehalte oder Sympathien. Sie stellt einen Kommentar dar, in dem die eigenen Interessen und Verflechtungen eine Rolle in der Bewertung der Geschehnisse spielen. Dadurch kann dieser als bewusstes Mittel zur ironischen Brechung der szenischen Ebene eines Films eingesetzt werden.

      Meist spricht der Erzähler aus seiner Erinnerung heraus: Er erzählt eine bzw. seine Geschichte, die bereits in der Vergangenheit liegt und die ihn reifen ließ. Er hat damit auch die Möglichkeit, bereits mehr zu verraten, als die visuelle Ebene der Geschichte es tut, etwa Hintergrundinformationen oder Andeutungen. Dadurch können Geschichten zum einen einen schicksalshaften Touch des Irreversiblen bzw. Besiegelten erhalten. Zum anderen verleiht es einer Geschichte Relevanz, da man sich ihrer nicht nur erinnert, sondern zudem das Bedürfnis verspürt, sie weiterzugeben. Dabei sollte der Erzähler auch in der Gegenwart noch in die Geschichte involviert sein, so dass das Erzählen für ihn eine Möglichkeit darstellt, das Geschehene oder Erfahrene zu reflektieren, es noch einmal durchzuleben, zu durchleiden oder zu verstehen. Dass er noch nicht mit der Geschichte abschließen konnte, kann verschiedene Gründe haben: Vielleicht ist er über den Ausgang im Ungewissen, weil er damals vor der Situation geflohen ist. Vielleicht hat ihn die Geschichte traumatisiert und er muss dieses Trauma nun verarbeiten. Vielleicht gibt ihm die Geschichte immer noch ein Rätsel auf, etwa weil der Mord nie aufgeklärt werden konnte. Als Auslöser, weshalb er die Geschichte gerade jetzt erzählen möchte, kann die Hauptfigur gerade verstorben oder der Verbrecher von einst kürzlich aus seiner langjährigen Haftstrafe entlassen worden sein. Durch den Akt des Erzählens erfährt der Off-Erzähler auch selbst die entscheidende Einsicht, die ihm bisher gefehlt hatte, oder eine Information, die ihn nun wieder zum Handeln veranlasst.

      Die Gefahr beim Einsatz eines Off-Erzählers besteht darin, Information nur sprachlich wiederzugeben, anstatt Konflikte zu visualisieren, und damit als Autorin den einfacheren Weg zu gehen.
      Dagegen stehen mehrere Vorteile, die ein Off-Kommentar mit sich bringt: Indem Handlungen, die zum Teil viel Erzählzeit benötigen würden, verbal gesetzt werden können, ist es möglich, eine Handlung stark zu verdichten und damit eine Geschichte viel schneller voranzubringen. Wenn man eine Entwicklung visuell ausdrückt, braucht man oft etliche Bilder, während man diese Entwicklung sprachlich zusammengefasst in einem Satz formulieren kann. Ellipsen zwischen einzelnen Szenen können auf diese Weise gekittet werden, so dass Ereignisse übersprungen oder epische Zeiträume von etlichen Jahren zu kurzen Einheiten zusammengezogen werden können. Innere Vorgänge und Motivationen lassen sich durch den Einsatz eines Off-Erzählers externalisieren, Szenen mit einem großen Inszenierungsaufwand können eingespart werden. Zudem ist es möglich, die Chronologie der Geschichte durch den Erzähler aufzuheben: Erzählstränge können kunstvoll miteinander verwoben bzw. ineinander verschachtelt werden, so dass unterschwellige Zusammenhänge sichtbar gemacht werden können.
      Mit einem Off-Erzähler kann man außerdem eine intime Verbindung zum Zuschauer als vertrautem Zuhörer aufbauen. Dies ist sicherlich umso nützlicher, wenn es sich bei dem Erzähler um den Protagonisten handelt. Der Zuschauer kann somit an der Gedankenwelt und den Emotionen der Figur teilhaben.

      Dadurch, dass es der Erzähler dem Zuschauer die Geschichte vermittelt, macht er diese jedoch zwangsläufig mittelbar. Das bedeutet, das der Zuschauer sie nicht mehr direkt erleben kann, sondern nur gefiltert. Während der Einsatz eines Erzählers also Nähe zwischen Erzähler und Zuschauer schafft, distanziert er den Zuschauer gleichzeitig von der Geschichte.
      Zusammenfassend dient ein Off-Kommentars also der Verdichtung, Verkürzung, Ergänzung oder Kontrastierung von Handlung. Er kann jedoch auch erklärend, affirmativ oder redundant wirken. Nicht zuletzt eignet sich ein Off-Erzähler auch dazu, Inszenierungsschwächen zu kaschieren oder eine Handlung nachträglich verständlich zu machen.

        Multiperspektivisches Erzählen

        Das multiperspektivische Erzählen entspricht dem Medium Film in seiner zeitlichen und örtlichen Ungebundenheit. Für die Autorin eröffnet es die Freiheit, jederzeit die dramaturgisch wirkungsvollste Perspektive auszuwählen. Die Folge ist eine maximale visuelle Gestaltungsflexibilität, die entweder zu einer expressiven Filmsprache oder aber zu einer formalen Beliebigkeit führen kann.

          Achronologisches Erzählen

          Das achronologische Erzählen befreit eine Geschichte aus ihrem zeitlichen Korsett und bietet große Freiräume für die Montage eines Films.
          Eine gängige Praxis ist hierbei, eine Geschichte zu rahmen, sie also in Rahmen- und Binnenerzählung zu unterteilen. Dabei beginnt die Geschichte oft mit der Schlusssequenz oder sogar der Schlussszene und setzt mit dem Einsatz der Binnenerzählung einen filmumspannenden Cliffhanger. Erst am Schluss gelangt die Geschichte wieder zu ihrem Ausgangspunkt. Die anfangs begonnene Szene wird nun fortgesetzt, um den Ausgang des Films zu erzählen.
          Die Technik des analytischen Erzählens rollt ein vergangenes Ereignis in der filmischen Gegenwart auf. Sie kommt daher bevorzugt im Krimi zum Einsatz.
          Das analytische Erzählen ermöglicht aber nicht nur einseitig von hinten nach vorne zu erzählen, sondern kann auch gleichzeitig nach hinten und vorne gerichtet sein. Hier wird eine Backstory etabliert, die parallel zur Hauptgeschichte erzählt und schrittweise enthüllt wird. Die Backstory wirkt sich dabei auf die Gegenwart aus, indem sie wichtige Handlungszusammenhänge oder die Motivationen und Traumata der Figuren liefert.

            Unzuverlässiges Erzählen

            Das unzuverlässige Erzählen führt den Zuschauer bewusst in die Irre und enthält ihm wichtige Informationen vor. Diese Technik nutzt den filmischen „Beweischarakter“ des ‚Mit eigenen Augen’-Sehens aus, indem sie scheinbar reale Bilder manipuliert wiedergibt. An einem bestimmten Punkt, meist dem zweiten Plot-Point, enthüllt sich die Erzählung als unzuverlässig. Alles bisher Gesehene wird plötzlich in Frage stellt, in einem neuen Licht präsentiert und schließlich als Täuschung entlarvt. Der Film erfährt einen fundamentalen Umschlag. Für den Zuschauer ergibt sich mit diesem Twist in der Rückschau ein neuer Film, der sein bisheriges Verständnis über die Geschichte auf den Kopf stellt: Er muss die Erzählung dekonstruieren, revidieren und rückwirkend neu interpretieren. Am Ende dieses Prozesses ist die Geschichte eine völlig andere und der Film hinterlässt eine verstörende Wirkung. Beispiele für sogenannte Twist Movies oder Reversals sind „Fight Club“, „The Others“ oder mehrere Filme von M. Night Shymalayan wie etwa „Sixth Sense“ oder „The Village“.

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